Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
liebe Besucher und Zuhörer,
wir haben uns entschlossen, einen überarbeiteten Entwurf unseres Antrags[1] zur Abstimmung zu stellen, in dem wir vorschlagen, zu russischen Kommunen Kontakt aufzunehmen als Beitrag zur Schaffung einer Atmosphäre der Entspannung in Europa. Vor allem aus zwei Gründen.
Der erste Grund: Schon im November 2022 schlug eine russische Rakete auf polnischem Territorium ein, und in den Stunden nach diesem Ereignis war nicht klar, ob die USA der polnischen Interpretation folgen würden, dies als einen Angriff auf NATO-Gebiet zu werten. Man entschied sich dann gegen den Widerstand Polens, den Konsultationsfall nach Artikel 4 NATO-Vertrag auszurufen und nicht den Bündnisfall nach Artikel 5. Was letzteres bedeutet hätte, auch für uns, ahnen wir sicherlich alle. Seither gab es immer wieder solche Vorfälle. Zum letzten Mal vor zwei Wochen, am 15. Januar dieses Jahres. Es ist diese Unkalkulierbarkeit der Situation in Europa, die das Board of Atomic Scientists der USA vor zwei Wochen dazu bewogen hat, die Doomsday Clock auf 89 Sekunden vor Mitternacht zu setzen. So knapp wie nicht einmal zu Hochzeiten des Kalten Krieges sehen uns die Wissenschaftler an vor einem Atomkrieg.
Es ist diese Unkalkulierbarkeit, die auch die Bürgermeister von Hiroshima und Nagasaki bewogen haben, an alle politischen Verantwortungsträger inklusive natürlich der Angst, ihre Amtskollegen in aller Welt zu appellieren, sich für einen schnellstmöglichen Waffenstillstand in der Ukraine einzusetzen. Das ist der erste Grund.
Der zweite Grund, liebe Kolleginnen und Kollegen, müsste insbesondere alle hier im Bund überzeugen, die das Überleben des Staates Ukraine als Priorität ansehen. Gerade angesichts der jetzigen prekären militärischen Situation der Ukraine könnten kommunalpolitische Kontakte in Russland in Richtung russischer Städte dazu genutzt werden, dortige gesellschaftliche Würdenträger und politische Entscheidungsträger zu drängen, sich jetzt für einen Friedensschluss einzusetzen. Auch und gerade wenn dies wegen der momentan für Russland vorteilhaften militärischen Situation von den Mächtigen dort nicht gern gehört werden dürfte.
Allen Skeptikern sei gesagt: Was schadet der Versuch? Das Kommunalpolitik durch die Etablierung von Kontakten ihren Teil zu einer Atmosphäre der Verständigung und des Dialogs beitragen kann, haben unsere Vorgänger hier in diesem Raum vorgemacht. Mit der Begründung zum Beispiel der Städtepartnerschaft zwischen Leipzig und Hannover 1987, mitten in der Zeit der Systemauseinandersetzung. Zu einer Zeit also, als es noch völlig unklar war, ob die Krise über die Stationierung der Mittelstreckenraketen in beiden deutschen Staaten friedlich gelöst werden könnte oder eben nicht.
Wir erinnern uns alle an Stanislaw Petrow und seine Rettung Europas durch Zufall am 23. September 1983. Städtepartnerschaft war Entspannungspolitik von unten, wie es damals hieß. Und das war die damalige Antwort auf die Gefährdungen dieser Welt und nicht Kontaktverbot und Mauern. Und genau dazu fordern uns die Oberbürgermeister von Hiroshima und Nagasaki nun wieder auf, sogar auf einem sehr viel kleineren unambitionierteren Level.
Zum Ersatzungsantrag der Freien Fraktion ist nur das Offensichtliche zu sagen. Zu der Gefahr, die die Oberbürgermeister von Hiroshima und Nagasaki zu ihrem Appell bewegt, nimmt der Antrag mit keinem Wort Stellung. Null. Er formuliert stattdessen zum xten Mal die Schuldfrage legitimerweise. Kann man machen, aber eben angemessen bei diesem Thema. Dieses Herangehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist autistisch. Sich der Gefahr einer atomaren Eskalation nicht zu positionieren, heißt, sie in Kauf zu nehmen.
Wir, das BSW, wollen diese Gefahr nicht in Kauf nehmen. Und wir denken die Leipzigerinnen und Leipziger denken in ihrer Mehrheit auch so und im Übrigen auch die Menschen in den Städten Russlands. Der Wortlaut des Verwaltungsstandpunkts lässt uns die Möglichkeit offen, dass unsere Stadt in diesem Sinne tätig wird. Das ist ein Fortschritt, den wir, sehr geehrter Herr Bürger Oberbürgermeister, sehr wohl anerkennen. Wir haben deswegen den Verwaltungsstandpunkt übernommen und uns bewusst nur darauf konzentriert, diese unstrittigen Sätze in Bezug auf Russland zu konkretisieren, ohne irgendwelche Dinge vorzuschreiben.
Wir, das BSW, finden, Leipzig sollte die Worte von Hiroshima und Nagasaki ernst nehmen und seinen kleinen Teil zum Frieden beitragen. In diesem Sinne bitten wir Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
Zum Antrag:
[1] https://ratsinformation.leipzig.de/allris_leipzig_public/vo020?VOLFDNR=2023960&refresh=false